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«Die fehlende Sichtbarkeit hat zu einer Patt-Situation geführt»

Nach zwei Jahrzehnten im BAG wird Markus Jann im kommenden Januar pensioniert. 2001 hat er im BAG die Leitung der Sektion Drogen übernommen, heute leitet er die Sektion «Politische Grundlagen und Vollzug» in der Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten. Im Interview blickt er auf seine Highlights und Herausforderungen zurück.

Bevor du im BAG angefangen hast, warst du bei der Stiftung Contact und als kantonaler Beauftragter für Suchtfragen im Kanton Bern tätig. Wie sah die damalige Suchtpolitik aus?

Die 1990er-Jahre waren die hohe Zeit der Schweizer Suchtpolitik. Die Bilder der offenen Drogenszenen, die vielen Todesfälle und die Verbreitung von HIV/Aids in der Szene haben zu einem Umdenken in der Politik geführt. Damals setzte sich die Erkenntnis durch, dass diese Probleme nicht mit einer ausschliesslich repressiven Drogenpolitik gelöst werden können. Das war die Geburtsstunde der 4. drogenpolitischen Säule, der Schadensminderung. Vorher sind viele Versuche, die offene Drogenszene aufzulösen, gescheitert. Wurden die Abhängigen an einem Ort vertrieben, liessen sie sich anderswo nieder. Die Angebote zur Schadensminderung wie Spritzen-Umtausch, Fixerräume, niederschwellige Methadon-Abgabe und insbesondere die heroingestützte Behandlung haben diese Situation grundlegend verändert. So gelang es, die Probleme einigermassen in den Griff zu bekommen. Zwar war das Drogenproblem damit nicht gelöst, aber wir hatten zu einem pragmatischeren und sozial verträglicheren Umgang mit dem Problem gefunden.

Du sagst, «die hohe Zeit der Schweizer Suchtpolitik»...

In dieser Zeit hat sich eine neue drogenpolitische Grundhaltung entwickelt, in den Fachkreisen, aber auch in der Öffentlichkeit und in der Politik. Die Schweiz hat einen pragmatischen Mittelweg gesucht. Zwei Volksabstimmungen haben das bestätigt: Das Volk hat die repressive Initiative «Jugend ohne Drogen» genauso abgelehnt wie die Initiative «Droleg», welche eine umfassende Legalisierung anstrebte. Ein paar Monate vor meinem Eintritt ins BAG hat der Bundesrat dann die Revision des Betäubungsmittelgesetzes vorgeschlagen. Mit dieser Revision hat er die Viersäulenpolitik und insbesondere die heroingestützte Behandlung gesetzlich verankert.

Diese Revision ist aber gescheitert. Warum?

Der Bundesrat wollte auch den Cannabiskonsum entkriminalisieren, das schien aber dann doch des Guten zu viel. Der Nationalrat ist darauf nicht eingetreten. Die Revision kam erst in einem zweiten Anlauf durch, nachdem die Entkriminalisierung des Cannabis fallengelassen worden war.

Wie hat sich die Suchtpolitik verändert, seit du im BAG bist?

Ich bin in einer Zeit ins BAG gekommen, als die schweizerische Drogenpolitik sehr vorwärtsgerichtet war. Die Bevölkerung befürwortete eine pragmatische, menschenwürdige Drogenpolitik, wollte aber gleichwohl an Verboten festhalten. Während der letzten zwanzig Jahren stand dann eher die Konsolidierung dieser Politik im Vordergrund.  Auf fachlicher Ebene hat sich sehr viel getan, vor allem auch bei den Kantonen und Gemeinden, welche qualitativ gute Angebote entwickelt haben. Die Schweiz verfügt heute in der Suchthilfe über ein Angebot, das punkto Dichte, Diversifizierung und Qualität auch im internationalen Kontext grosse Anerkennung findet.

Auf der politischen Ebene ist dagegen eher wenig passiert. Mit dem Verschwinden der offenen Drogenszene ist auch das Interesse der Politik stark zurückgegangen. Es gab zwar immer wieder Vorstösse zu drogenpolitischen Fragen, aber es kam zu keinen grundlegenden Entwicklungen. Ich erlebte es als Patt-Situation: Im Parlament standen sich zwei Blöcke gegenüber, ein liberaler und ein repressiver. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Patt-Situation überwunden werden kann. Weil das Thema nicht mehr sichtbar war, ist es auch von der politischen Agenda verschwunden. Der Veränderungsdrang war gering, man beliess alles, wie es war.

Gab es dennoch ein persönliches Highlight?

Es gab wichtige Entwicklungsschritte wie beispielsweise das 3. Massnahmenpaket Drogen oder die Nationale Strategie Sucht. Das sind allerdings eher konzeptuelle Weiterentwicklungen, die bislang nicht zu grundlegenden drogenpolitischen Entwicklungen führten. Mit dem Ordnungsbussenmodell für den Cannabis-Konsum gab es zwar erste, zaghafte Schritte in Richtung einer Entkriminalisierung. Die sehr unterschiedliche und teils gar widersprüchliche Umsetzung in den Kantonen spricht jedoch leider nicht dafür, dass damit ein grundlegendes Umdenken im Umgang mit der Drogenproblematik verbunden war. Auf das eigentliche Highlight musste ich deshalb ziemlich lange warten, nämlich 19 Jahre: der Experimentierartikel Cannabis. Dieser ermöglicht nun eine Weiterentwicklung. 

Was erhoffst du dir von diesem Experimentierartikel?

Das bisherige Betäubungsmittelgesetz mit seiner prohibitiven Ausrichtung entspricht einem eigentlichen Denkverbot. Mit diesem Gesetz ist es nicht möglich, neue Wege im gesellschaftlichen Umgang mit Drogen zu erproben. Der Experimentierartikel schafft nun die gesetzliche Grundlage, in einem eng abgesteckten Rahmen zu untersuchen, wie sich ein strikt regulierter Zugang zu Cannabis auf Betroffene und das Gemeindewesen auswirkt. Mit der Zustimmung zum Experimentierartikel anerkennt die Politik, dass wir mit den Drogen ein Problem haben, welches sich mit Verboten alleine nicht lösen lässt. Das weckt in mir die Hoffnung auf einen künftigen Drogen-Diskurs, der sachlicher, fundierter und weniger ideologisch geprägt ist als bisher. Wohin uns das führen wird, ist natürlich völlig offen. Sicher ist einzig, dass uns die Drogenproblematik auch in Zukunft beschäftigen wird. Die Drogenproblematik zählt zu den immerwährenden sozialen Problemen. Das heisst, jede Gesellschaft und jede Generation muss ihren eigenen Weg finden, wie sie damit umgehen will. 

Wie soll es deiner Meinung nach mit dem Betäubungsmittelgesetz weitergehen?

Eine Drogenpolitik, die auf strikte Regulierung setzt, ist erfolgversprechender als eine Drogenpolitik, die primär auf Verbote setzt. Wenn wir in der Drogenpolitik weiterkommen wollen, werden wir um eine Totalrevision nicht herumkommen. Das ist aber nicht nur ein Legiferierungsprozess, sondern ein gesellschaftlicher Entwicklungsprozess und der braucht Zeit. Meine Hoffnung ist, dass der Experimentierartikel einen guten Rahmen für diesen Entwicklungsprozess bildet. 

Welche Bedeutung hat die neue gesetzliche Grundlage für Medizinal-Cannabis?

Eine sehr grosse. Abgesehen davon, dass Patientinnen und Patienten davon profitieren, anerkennt der Gesetzgeber damit, dass Cannabis nicht nur ein Rauschmittel, sondern auch ein Heilmittel ist. Das trägt dazu bei, dass die Cannabis-Diskussion sachlicher wird. Die beiden neuen Gesetze sind somit Ausdruck für ein Umdenken, für eine offenere Herangehensweise an die Problematik.

Was hat dir bei deiner Arbeit Spass gemacht? 

Das Drogenproblem ist ein sehr menschliches Problem. Alle haben eine Meinung und bringen diese auch sehr gerne dezidiert zum Ausdruck. Dadurch ergibt sich eine sehr lebendige Diskussion. Man ist mit diesem Thema nahe an den Menschen, oft geht es um persönliche Betroffenheit und emotionale Fragestellungen. Das ist natürlich nicht immer einfach, aber insgesamt sehr anregend. Ich durfte mit den unterschiedlichsten Menschen über Drogenpolitik sprechen, von Suchtbetroffenen bis zu Bundesräten. 

Was machte dir zu schaffen?

Die drogenpolitische Diskussion ist viel stärker ideologisch als sachlich geprägt. Als Vertreter eines Bundesamtes, das ausschliesslich sachlich argumentieren darf, war das manchmal schwierig. Ich musste oft auf einer anderen Ebene diskutieren als mein Gegenüber. Wenn ich heute Dokumente von früher anschaue, fällt mir auf, dass wir auch Jahrzehnte später immer noch die gleichen Punkte diskutieren. 

Wo siehst du zukünftige Herausforderungen beim Thema Sucht?

Die Gesellschaft und die Politik sehen in den Drogen nach wie vor einen Feind, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Die eigentliche Herausforderung sehe ich aber nicht im Suchtmittel an sich, sondern in der Frage, wie wir als Gesellschaft damit einen sozial verträglichen Umgang finden.  Aufgrund der Erfahrung der vergangenen fünfzig Jahre müssen wir schliessen, dass Prohibition allein nicht zum Ziel führt. Das ist mittlerweile weitgehend unbestritten. Allerdings fehlt uns noch der Mut, neue Wege zu beschreiten. Die grosse Herausforderung bleibt deshalb, nach neuen Wegen im Umgang mit der Drogenpolitik zu suchen. Wir haben zwar das notwendige Wissen, sind aber als Gesellschaft noch nicht bereit, diesen Weg zu beschreiten.

Was möchtest du deinem Nachfolger Adrian Gschwend auf den Weg geben?

Dranbleiben, geduldig sein und den Humor nicht verlieren. Das BAG kann die Drogenpolitik nicht bestimmen, dafür ist es auch nicht legitimiert. Aber es kann mit evidenzbasierten Vorschlägen dazu beitragen, dass wir auf dem Weg zu einer pragmatischen und menschenwürdigen Drogenpolitik vorankommen. Dafür wünsche ich ihm viel Glück und einen langen Atem.

Welche Pläne hast du für deine Pensionierung?

Keine grossen. Ich möchte mal ausprobieren, wie das ist, sich einfach treiben zu lassen und nicht in einer Struktur eingebunden zu sein. Ich bin gespannt, was das mit mir macht. Ich sage nicht, dass ich mich nie mehr in der einen oder anderen Form für die Drogenpolitik engagieren werde, möchte mich aber nun fürs erste anderen Themen widmen.

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